Sorten- und Backeigenschaften bei Weizen
Vereinfachte Übersicht über Sorten- und Backeigenschaften bei Weizen
In jeder Kulturart (u.a. Weizen, Roggen, Dinkel) gibt es dutzende bis hunderte Sorten im internationalen Anbau und durch die kontinuierliche Pflanzenzüchtung kommen immer neue, leicht verbesserte hinzu und alte fallen raus. Im Brotgetreide werden diese Sorten dabei nicht nur in den Feldeigenschaften wie Ertrag unter weniger Düngung oder Spritzmitteleinsatz verbessert, sondern auch gezielt an den Verarbeitungseigenschaften gearbeitet. Die einzelnen Sorten unterscheiden sich deswegen teilweise auch erheblich in den einzelnen Eigenschaften, deswegen ist etwas Know-how hier nicht schlecht.
Generelle Trends: wir müssen einen hungrigen Planeten ernähren und dies unter schwierigeren Anbaubedingungen möglichst auch noch umweltverträglicher. Große Themen sind also weiterhin Ertragsstabilität unter weniger Einsatz von Wasser, Dünger- und Spritzmittel, Resistenz im Feld gegenüber Schaderregern, und umweltfreundliche Produktion, was im Bereich Getreide sehr die Stickstoffdüngung betrifft. Je mehr davon gedüngt, desto höher ist der Proteingehalt bzw. Klebergehalt im Weizen. Wichtig zu wissen ist zudem, dass Proteinmenge und Kornertrag immer negativ korreliert sind (Fig. 1, Quelle Beschreibende Sortenliste, Bundessortenamt), also entweder hat eine Sorte viel Ertrag mit wenig Protein, oder umgekehrt.
In der zukünftigen Landwirtschaft werden wir weniger düngen müssen, das heißt je mehr Protein/Kleber wir für die Nutzung von Weizen fordern, desto mehr müssen wir parallel auf Ertrag verzichten. Das sieht man deutlich im Ökolandbau, die besten Backsorten hier haben hohe Protein- und Kleberwerte sowie hohe Kleberqualität, aber auf Kosten von Ertrag, diese haben > 25% weniger Ertrag als die Futterweizen. Im konventionellen Anbau sind das nur ca. 12 % Unterschied. Das können wir uns gesamtgesellschaftlich nicht leisten, solange wir nicht deutlich weniger konsumieren und wegschmeißen. Also ist der goldene Mittelweg die Lösung, mit weniger düngen Ertrag halten und Backqualität anpassen, auch in den Rezepten. Bzw. den Anbau mehr spezialisieren (40 % gute bis sehr gute Backqualität, 30 % Futterweizen ohne Proteinvorgabe; 30% Exportweizen mit proteinvorgabe nötig?), letztendlich benötigen wir nur ca. 30% des heimisch produzierten Weizen fürs Backen und beim Backen allerbeste Backqualitäten auch nicht für jedes Mehl und Produkt. Ganz vereinfacht, Qualitätsanforderung ans Mehl von wenig - mittel – viel: Einfache Brote und Mischbrote – Brötchen mit Ausbund, Toastbrot – Spezialgebäck wie Buns, Berliner, Stollen.
Wie suche ich aber die passende Sorte für mich aus?
Hier gibt es zwei sehr wertvolle Quellen, beides von staatlicher Stelle basierend auf vielortigen Sortenversuchen. Zum einen die beschreibende Sortenliste des Bundessortenamtes, die basiert auf dreijährigen Feldversuchen an dutzenden Orten, deren Muster zu großen Teilen auch im Backlabor überprüft wurden. Man liest diese folgendermaßen: die Noten gehen von 1 bis 9 wobei 1 = wenig Ausprägung eines Merkmals und 9 = viel Ausprägung eines Merkmals bedeutet. Bsp.: Ertrag = 1 ist wenig Ertrag, 9 = viel Ertrag, Backvolumen 1 = wenig Volumen, 9 = viel Volumen, usw.:
https://www.bundessortenamt.de/bsa/media/Files/BSL/bsl_getreide_2023.pdf
Hier auch ein kleines Erklärvideo, wie man diese Liste liest:
https://www.youtube.com/watch?v=iCm8gvs8HdA&t=12s
Noch detaillierter mit Untersuchungen, die näher an der Backpraxis dran sind, erhält man Informationen zu einigen aktuellen Weizensorten aus den Landessortenversuchen in Bayern:
https://www.hortigate.de/Apps/WebObjects/ISIP.woa/vb/bericht?nr=94785
Auf was würde ich nun achten?
Klar ist, möglichst viel Ertrag bei geringem Spritzmittelbedaf, also möglichst von sich aus gesund im Feld, ist politisch berechtigt erzwungen und ökonomisch. Für den Müller ist natürlich die Mehlausbeute relevant, da das meiste Mehl eben weißes Mehl ist und man mit 2 % mehr Mehlausbeute auch mehr an Geld pro Kornpartie verdient, der Mehlpreis deckt sowieso bei vielen Mühlen nicht mehr die realen Kosten. Bedenkenswert ist auch: da wir fast alle lieber weißes Mehl bzw. Produkte daraus essen anstelle Vollkornprodukte, die ja viel gesünder wären, werden ca. 20% der Weizenernte im Mehlbereich weggeschmissen bzw. aktuell als Kleie an Tiere verfüttert. Aber wenn wir die Tierhaltung zukünftig weiter abbauen ist das ein wichtiges Thema für mehr Nachhaltigkeit und mehr Gesundheit beim Menschen. Erste Ideen dazu hier.
Der Bäcker kann sich grob an den Qualitätsklassen orientieren, diese sind in D mit absteigender Backqualität E, A, B und C-Weizen. Dabei ist die Backqualität eben streng nach dem Rapid-Mix Test (eher ein Teigstresstest mittels intensivem mixen als echte Teigführung) sowie Proteinqualität mittels Sedimentationswert, und weiteren Tests wie Fallzahl und Mehlausbeute bewertet, also bedingt praxistauglich.
Ich würde die Kennzahlen Proteingehalt, vielmehr aber noch Sedimentationswert, das Backvolumen nicht überbewerten (hier wäre dringend ein praxisnäherer Backtest nötig anstelle des RMTs) und lieber wenn vorhanden die genauere Beschreibung der Teigeigenschaften über das Extensogramm betrachten. Hier gilt es ein ausgewogenes Verhältnis aus Dehnbarkeit und Dehnwiderstand zu haben. Auch würde mich die Wasseraufnahme des Mehls interessieren, ökonomisch (Wasser ist eine billige Zutat) und als Qualitätszeichen (Frischhaltung). Wie gut und schnell die Wasseraufnahme ist, sagt uns auch die Kornhärte bzw. Griffigkeit des Mehls, je gröber/griffiger, desto langsamer (nachsteifen der Teige, mit Quellknetung arbeiten).
Noch genauer betrachtet sehe ich folgende Zusammenhänge. Ein mehr an Protein bringt auch nur etwas bei der Backqualität, wenn die Proteinqualität gut ist, so hat z.B. Einkorn deutlich mehr Protein und Kleber als Weizen, bäckt aber trotzdem ganz schön anders. Und Proteinmenge ist eben teuer erkauft, in der Umwelt wegen hoher Stickstoffdüngung oder wenn man mehr Protein in einer Sorte auf Kosten von viel Ertrag hat. Insofern kommt es viel mehr darauf an, dass man mit möglichst wenig Protein/Kleber, möglichst gut backen kann, also die Proteinqualität. Diese kann man z.B. im Sedimentationswert oder noch besser im Extensogramm messen. Das Extensogramm ist ein Teigdehnungsversuch, hier interessiert ein ausgewogenes Verhältnis von Dehnwiderstand und Dehnbarkeit, idealerweise beides nicht zu niedrig. Im Bäckeralltag kennt man den „Fenstertest“ (Fig. 2, Foto: BeckaBeck), wenn man den Teig zwischen den Fingern aufzieht sollte er sich gut dehnen lassen zu einem dünnen Häutchen, was möglichst nicht reißt.
Zu schnell reißen wäre ein hoher Dehnwiderstand bei geringer Dehnbarkeit („zickig, kurzer Kleber“), lange schnell dehnen genau das Gegenteil mit der Gefahr einer sehr geringen Teigstabilität, dass Teige breit laufen und ein geringes Gashaltevermögen haben. Durch die Intensität der Knetung kann man hier aber noch einiges rauskitzeln, als grobe Daumenregel, zu dehnbare Teige eher wenig intensiv kneten, eher kurz und zickige Teige mit mehr Intensität.
Die Wasseraufnahme eines Teiges darf bei der Backqualität auch nicht aus den Augen verloren werden. Einerseits ist es eine günstige Zutat, die aber auch die Frischhaltung und die Teigeigenschaften mitbestimmt. Vereinfacht wird die Wasseraufnahme über die Proteinmenge und die Stärkebeschaffenheit bzw. Korngrößenverteilung im Mehl beeinflusst. Je mehr Protein/Kleber, umso höher die Wasseraufnahme. Je gröber/griffiger das Mehl und/oder je größer die Stärkebeschädigung des Mehls durchs Mahlen, desto mehr Wasser wird aufgenommen, kann dann aber teilweise nicht lange gehalten werden (Zusatz von Öl kann helfen). Und wenn ihr in obige Listen schaut, unterscheiden sich die Sorten sehr in der Wasseraufnahme, somit ist es auch logisch, dass ihr bei jeder neuen Partie Mehl die Wassermenge im Rezept anpassen müsst.
Wenn ich das alles beachte bin ich schnell bei den besseren A/E-Weizensorten, die aber wegen dieser hohen Qualitätsansprüche weniger Ertrag haben als die Sorten, mit weniger Ertrag. Ich muss also Mehl daraus teurer bezahlen, je nach Verfügbarkeiten dieser Qualitäten kann dies viel ausmachen und wir erwarten in der Zukunft hier eine deutliche Preiserhöhung wegen eben reduzierter Stickstoff-Düngung. Deswegen sollte ich mir gut überlegen, welche Mehlqualitäten, insbesondere Proteinmengen ich wirklich brauche und ob ich die beste Mehlqualität wirklich für alle Produkte brauche oder ob ich diese nicht nur für Spezialprodukte (Stollen, Berliner, TK-Ware) oder zum verbessern schlechterer Mehlqualitäten nutze (sog. Aufmischen). Im Bier-, Keks- und Waffelbereich will man übrigens möglichst wenig Proteingehalt bei niedriger Teigviskosität und Futterweizen braucht auch keine Proteinvorgaben im Anbau/Handel, viel wertigeres Protein kann man sich in diesem Bereich Ertrags- und Umweltfreundlicher aus heimsichem Anbau von Leguminosen holen.
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