Wenn Weizen krank macht

Bestseller wie die „Weizenwampe“ oder „Dumm wie Brot“ machen vor allem in den USA sehr große Schlagzeilen, dort verzichten mittlerweile bis zu 25% völlig gesunder Amerikaner auf den Weizenverzehr. Dabei ist aus wissenschaftlicher Sicht fast nichts aus diesen zwei Büchern haltbar (www.gmf-info.de/fachkritik-weizenwampe.pdf). Unwidersprochen ist der Einfluss des Weizens, genauer des Glutens, auf die Zöliakie. Zöliakie ist eine chronische Erkrankung des Dünndarms, die auf einer lebenslangen Unverträglichkeit gegenüber dem Gluten beruht. Gluten kommt in allen Weizenarten, also dem Brotweizen, Durum, Dinkel, Emmer, Einkorn, Kamut® (Khorasan-Weizen) sowie im Roggen und Gerste vor. Die einzige Therapie ist der lebenslange Verzicht auf diese Arten. Allerdings hat nur ca. 1 % der Weltbevölkerung eine Zöliakie, die mittels spezieller Antikörpertest sowie einer Darmspiegelung eindeutig diagnostiziert werden kann. Für genauere Informationen empfehlen wir die Homepage der Deutschen Zöliakie Gesellschaft (www.dzg-online.de). Das zweite klar umrissene und diagnostizierbare Krankheitsbild ist die Weizenallergie. Hier gibt es zwar verschiedene Ausprägungsformen, allerdings sind allergietypische Symptome bis hin zum anaphylaktischem Schock vorhanden. Weniger als 1 % der Weltbevölkerung leidet darunter, deren Krankheit kann aber eindeutig mit Antikörpertests diagnostiziert werden.

Darüber hinaus gibt es noch eine weitaus weniger klare aber doch wissenschaftlich akzeptierte sogenannte Weizensensitivität (engl.: non celiac gluten sensitivity). Die Symptome sind sehr weitläufig von klassischen Magen-Darm Beschwerden über Unwohlsein bis hin zu Müdigkeit und anderen und sollen bis zu 5% der Weltbevölkerung betreffen. Gerade Dinkelverarbeiter sehen sich dieser Diskussion oft ausgesetzt, da doch zahlreiche Kunden von Beschwerden bei Weizenverzehr berichten, die dann angeblich bei Dinkelverzehr besser seien. Häufig sollen zudem Kinder betroffen sein. Was dafür verantwortlich ist, ist entgegen vieler Meinungen in Presse, Büchern und Internet wissenschaftlich leider noch nicht geklärt und somit gibt es auch keinerlei Diagnosetechnik. Es werden immer wieder neue Hypothesen aufgestellt und dann Jahre lang wissenschaftlich untersucht. Aktuell werden v.a. diese zwei Hypothesen in der Wissenschaft überprüft. Die erste proklamiert, dass ATI’s (α-Amylase Trypsin Inhibitoren) der Auslöser dieser Sensitivität sein könnten. ATI’s sind Proteine, die natürlich im Weizen und anderen Rohstoffen vorkommen und von denen man weiß, dass sie Auslöser von Allergien wie das Bäckerasthma sein können. In Zellkulturstudien konnte weiter gezeigt werden, dass ATI’s eine Wirkung auf die Immunantwort haben könnte (www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3526354/).Die Zellkulturstudien und deren Ergebnisse zeigen aber keinen Zusammenhang zur Menge der ATI's in Mehl- und Brotmuster. Auch essen wir Menschen ja keine Weizenkörner oder Mehl direkt sondern den Weizen meistens prozessiert in Form irgendeines Brotes oder Nudel. Insofern müsste auch der Einfluss der Prozessierung auf ATI's genauer betrachtet werden. Wichtig ist auch, dass Zellkultur- und Tierversuche nur eine geringe Aussagekraft zu Reaktionen bei Menschen haben. Insofern sind dringend umfassende Humanstudien nötig, die weiter gehen als die bisher veröffentlichten, die zu geringe Probandenanzahlen sowie unpassende Messkriterien angewandt haben. Aussagen, dass moderner Weizen viel ATI’s enthält im Gegensatz zu alten Weizenarten bzw. Weizensorten sind nicht korrekt, es scheint eine große Variation in den Sorten sowie einen erheblichen Umwelteinfluss auf die Ausprägung von ATI’s zu geben (Artenvergleich, Sortentrend, Zukunft). Die Weizenzüchtung hat den Gehalt der ATI in Weizensorten auch nicht verändert. Einkorn scheint dabei eine deutlich geringere Menge an ATI' sowie weiteren potentiell allergenen Proteinen des Weizens zu haben.  Mehr Informationen zum Thema ATI finden Sie hier.

Eine alternative Hypothese geht davon aus, dass eine Gruppe von Kohlenhydraten sowie mehrwertigen Alkoholen auch für die Weizensensitivität verantwortlich sein könnten, die sogenannten FODMAP (engl.: fermentable oligo-, di- and monosaccharides and polyols). Diese Gruppe an Stoffen kommt bei zahlreichen Lebensmitteln wie auch dem Weizen vor. Der wissenschaftliche Beweis, das FODMAPs die Weizensensitivität auslösen, fehlt bisher aber gänzlich. Unumstritten ist, dass FODMAPs bei Patienten mit Blähungen, diese durchaus erhöhen können (u.a. Reizdarmpatienten). Allerdings zeigt eine Studie von uns, die wir zusammen mit dem Bäcker Heiner Beck und der Stelzenmühle in Bad Wurzach gemacht haben, dass Teiggehzeiten von zwei Stunden ausreichen, um die FODMAPs erheblich zu reduzieren. So waren alle unsere 42 Studienbrote unter dem von der Wissenschaft definierten Grenzwert für eine low-FODMAP Diät, was auch für einen Großteil der Weizenbrote gilt, die in anderen wissenschaftlichen Studien untersucht wurde. Zudem scheinen FODMAPs wiederum wichtig für das Mikrobiom, das sind die Darmbakterien gesunder Menschen. In einer Humanstudie mit 24 Patienten mit möglicher Weizensensitivität wurde interessanterweise das Testbrot mit extra viel FODMAPs am besten vertragen. In der gleichen Studie wurde auch gezeigt, dass diese Patienten Dinkel- und Weizenbrot gleich vertragen haben, mit jeweils mittlerem Reizdarmbeschwerdescore. Das Thema Weizensensitivität bleibt also nebulös. Wichtig aber ist auch zu bedenken, dass wie bei Medikamenten es bei Diätumstellungen auch den sogennanten Placebo- (ich glaube ein Medikament wirkt, dann wirkt es auch bei mindestens 30% Menschen) und Noceboeffekt (ich glaube ein Medikament verursacht die Nebenwirkungen des Beipackzettels, dann tritt dies auch mit gesteigerter Wahrscheinlichkeit ein) gibt, der immerhin bis zu 30% der Reaktionen in Humanstudien ausmacht! Hier ein Beispiel   

Beim professionellen Backen werden heute z.T. einige Zusatzstoffe, Enzyme und Zuckerersatzstoffe eingesetzt, manche Backwaren werden auch direkt gebacken mit minimalsten Teiggehzeiten. Dass solche Prozessparameter zu Veränderungen in Backwaren führen können, wurde unlängst erneut wissenschaftlich gezeigt. Es ist also dringend Forschung im Bereich der Weizensensitivität notwendig, die sich differenziert mit allen möglichen Ursachen beschäftigt. Wir kooperieren in diesem Bereich intensiv mit führenden Forschern aus der Lebensmittel- und Medizinbranche. Wichtig ist aber auch, dass maximal ca. 10% der Weltbevölkerung von diesen Erkrankungen betroffen ist und für den Rest der Bevölkerung gilt: eine Ernährung mit ausreichend Vollkorngetreide ist wichtig für ein gesundes Leben. Mehr Infos zu Weizen, Landwirtschaft, Zusatzstoffen und wie man gesundes aber leckeres Brot einfach backen kann gibt es hier  

Expertenvideo: Weizen macht nur sehr wenige krank

Neue Studie: Brot kann sehr wenig FODMAP enthalten

Wissenschaftliches Gutachten von Prof. Dr. Fred Brouns und Kollegen: Does wheat make us fat and sick?

ZDF-Interview: Gluten in Weizen

ZDF-Interview: Weizen wichtig für gesunde Ernährung

Humanstudie zur Weizensenitivität zeigt keinen Unterschied zwischen Dinkel- und Weizenkonsum

Wissenschaftliches Gutachten von Prof. Dr. Peter Shewry und Kollegen: Do we need to worry about eating wheat?